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Potenziale entstehen lassen

Potenziale entdecken? Potenziale entstehen lassen!


Schon Nachrichten gehört heut´morgen? Potenziale, Potenziale. Potenziale werden gesucht: Sparpotenziale. Wo kann man sparen? Welchen Haushaltsposten kann man kürzen? Welche Privilegien kann man beschneiden? Welchen Aufwand kann man streichen? Was bisher scheinbar gut lief, läuft nicht mehr. Die Devise heisst: Streichen, streichen, streichen. 
Wir aber sagen: Entdecken, entfalten, fördern. Als Führungskraft, als Berater, als Entwickler, als Coach suchen und finden wir ungenutzte Potenziale im System. Wir finden aber nichts anderes, als was schon da war – in der Regel so naheliegend, dass es einfach übersehen worden war. Immerhin. Entdeckt, entfaltet, ermuntert, gefördert. Das trägt dann eine Weile, dann läuft es erstmal wieder. 
Aber war da nicht die Idee, ja die Notwendigkeit von wirklich Neuem ? War da nicht die Forderung nach radikalem Umdenken und war da nicht eine Vermutung von ungeahnten Möglichkeiten? Ahnung und Ermöglichung. Das ist mehr als die Entdeckung von zwar verdecktem, darum unbekannt aber doch vorhanden. 


Wie entsteht das Unvorhandene? Wie ist das Ungeahnte zu ahnen? Wie ist das Mögliche zu ermöglichen, wie kommt der Frosch als Prinz und das Entenküken als Schwan zu Stande und in Bewegung?

Solange wir auf den Frosch oder das Entenküken oder den Klienten, das Unternehmen oder das Sysem schauen, können wir zwar mehr sehen als Frosch, Entenküken, Klient, quantitativ mehr, auch aus anderer Perspektive, aber wir können nichts Anderes sehen als das was da ist. Frosch bleibt Frosch, Entenküken wird bestenfalls Ente oder Erpel, Klient bleibt Klient.
Wenn es wirklich und wirksam um Neues als Potenzial geht, dann geht es nicht um Entdeckung sondern dann geht es um Entstehung. 


Potenziale entstehen lassen heißt, sich selbst neu entstehen lassen. Dabei ist das wirkende Wort nicht »entstehen« sondern das wirkende Wort ist »lassen«. Anderes und Andere (zu)lassen.

Der Maler Gerhard Richter, derzeit mit zwei großen Ausstellungen in Berlin geehrt, wird zitiert »Bei den abstrakten Bildern entstehen so vage Vorstellungen, die dann eben mal umgesetzt werden wollen. So beginnt es, und fast immer kommt was anderes raus, als ich geplant habe.« Die Schlüsselworte sind: »vage« (Unbestimmtheit), »eben mal« (Beiläufigkeit), »beginnt« (Ingangsetzung), »was anders als geplant« (Innovation). Das Potenzial ist die Differenz zwischen Beginn und Ergebnis.


Wie können wir als Führungskraft, als Berater, als Entwickler, als Coach selbst qualitativ anders sein, uns anders verhalten, um uns selbst und Anderen das Andere als Potenzial zu ermöglichem? 
Sein lassen, zulassen, kommen lassen, gehen lassen? Es gibt wohl keine generelle Antwort. Aber es gibt in jedem Moment, in jeder Handlung die Möglichkeit, eine Antwort zu praktizieren: Ich kann es anders machen als gewohnt, anders als vertraut, anders als erwartet. Gegen alle Erfahrung ein Experiment unterstützen. Jemandem etwas zutrauen, was derjenige sich selbst nicht zutraut. Wider besseres Wissen einen Weg zulassen. Jemandem danken, der es nicht verdient hat. Jemandem verzeihen, der es nicht verdient hat. Als Führungskraft sich führen lassen von den Geführten, als Berater begleiten statt Rat zu geben.

Veröffentlicht in LO Zeitschrift für relationales Management und Organisation, Wien, April 2012

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